Demokratie um 12: „Demokratie im Ausnahmezustand“
News vom 15.02.2021
Mit dem Thema „Demokratie im Ausnahmezustand: Wie resilient sind unsere demokratischen Institutionen?“ wandte sich die neuste Ausgabe des Lunchtalks am 3. Februar der Corona-Pandemie zu und leuchtete deren Folgen für unser politisches Miteinander aus. Aus der Landesvertretung Rheinlandpfalz moderierte diesmal Shelly Kupferberg (rbb) die digitale Runde. Staatssekretärin Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, für Medien und Digitales erinnerte in ihrer Begrüßung noch einmal an die Bilder aus dem letzten Jahr, als sogenannte „Querdenker“ und rechte Gruppierungen versuchten, den Reichstag zu stürmen – Bilder, die durch die Ereignisse vor einigen Wochen in Washington nur allzu präsent erscheinen. Neben diesen physischen Angriffen auf politische Institutionen geraten Politiker:innen durch die Pandemie aber auch an vielen anderen Stellen unter Druck.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg, verwies auf die dringende Notwendigkeit, dass sich Politik in der aktuellen Zeit noch mehr erklären müsse. Es gehe nicht nur darum, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen die richtigen Maßnahmen abzuleiten, sondern diese der Bevölkerung auch zu vermitteln. Besonders erschwert sieht Brosda diesen Schritt durch den Verlust des öffentlichen Raumes, da es der Politik an wesentlichen Resonanzräumen fehle.
Auch Prof. Dr. Sophie Schönberger, Inhaberin des Lehrstuhls Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Co-Direktorin des Instituts für Internationales Parteienrecht und Parteienforschung, sieht darin eine der zentralen Herausforderungen für das Politische in der aktuellen Situation. Für eine funktionierende Demokratie sei das Zusammengehörigkeitsgefühl der demokratischen Gemeinschaft essentiell. Dieses verfestige sich normalerweise im alltäglichen Zusammenleben der Menschen und habe unter den momentanen Bedingungen keinen Raum. Institutionell sieht sie die deutsche Demokratie weit weniger gefährdet.
Tabea Rößner führte ihre Sicht als Mitglied des Bundestags (Bündnis 90/Die Grünen) näher aus. Gerade bei Eingriffen in die Grundrechte sei es unumgänglich, dass der Bundestag seiner zentralen Funktion der Debatte nachkomme und so verschiedenste Sichtweisen einbringen und abwiegen könne. Das könne allein durch die Kanzlerin und einen kleinen Kreis an Minister:innen nicht geleistet werden.
Brosda ergänzte, dass die Pandemie eigentlich keine neuen Debatten aufwerfe, sondern vielmehr Debatten zuspitze, die bereits seit Jahren geführt werden. Und jetzt zeige sich beispielsweise im Digitalen, wo besonders große Lücken blieben. Auch er glaube, dass digitale Räume durchaus positive Effekte auf Willensbildung und Beteiligung bereithielten. Man dürfe dabei nur nicht den Fehler machen, Formate eins zu eins übersetzen zu wollen. Der Staat habe sich in der Krise als überaus handlungsfähig bewiesen, dennoch dürfe der Handlungsmodus aus dieser Ausnahmesituation nicht auf andere Bereiche übertragen werden.
Abschließend verwies Schönberger noch auf eine weitere politische Herausforderung, die sich durch die Pandemie gezeigt habe. Bei den sogenannten „Querdenkern“ und damit verbundenen Gruppierungen handle es sich nicht um extremistische Positionen im klassischen Sinn. Vielmehr sehe die Politik sich neuerdings mit einer Delegitimationserzählung konfrontiert, die keine Alternative Staats- oder Demokratieform anstrebe, sondern vielmehr alles ablehne oder als Lüge abtue, was von Seite des Staates komme. Da es bislang wenig Erfahrung mit dieser Art von Bewegung gebe, sei sie höchst gefährlich für die Demokratie. Es gebe aber durchaus Parallelen zur den bereits bekannten Reichsbürgern. Aus der Forschung wisse man, dass es nahezu unmöglich ist, diejenigen, die sich einmal in ein derartiges Paralleluniversum begeben haben, zurückzugewinnen. Die politische Arbeit müsse deshalb früher ansetzen, damit nicht noch mehr Menschen in dieses Paralleluniversum abwandern. Sicherlich sei dafür erklären statt behaupten ein wichtiger Baustein. Gleichzeit sei der Glaube an die Demokratie nicht nur rational, sondern habe auch eine emotionale Seite. Viele von denen, die sich Gruppierungen wie den „Querdenker“ anschließen, habe die Politik auf dieser emotionalen Ebene verloren. Die Herausforderung für Politiker:innen bestehe darin, die Menschen auch emotional wieder einzunehmen.
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann hier abgerufen werden.
Das Lunchtalk-Format „Demokratie um 12“ geht auf eine Initiative der Staatssekretärin Heike Raab und Prof. Thorsten Faas zurück. Seit 2017 finden unter dem Titel dreimal pro Jahr Diskussionen rund um Demokratie mit unterschiedlichsten Gästen statt, immer in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz.