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Neue Publikation: Antisemitische Einstellungen in Deutschland: Eine Forschungsnotiz zu den Desiderata einstellungsbezogener Antisemitismus-Forschung.

News vom 22.11.2023

Stefan Liebig (2023)

In: Informationsflüsse, Wahlen und Demokratie (pp. 583-616). Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.

Abstract:

Vor dem Hintergrund steigender antisemitischer Delikte und einer von Jüdinnen und Juden wahrgenommenen Bedrohung durch antisemitische Übergriffen fragt der Beitrag nach dem Ausmaß und der Entwicklung antisemitischer Einstellungen in Deutschland in einem Zeitfenster von 25 Jahren. Dazu werden zunächst fünf Desiderata der umfragebasierten Antisemitismus-Forschung identifiziert. Diese beziehen sich auf (1) die Klassifikation von Einstellungen als antisemitisch, (2) das Problem fehlender und ggf. sozial erwünschter Antworten sowie (3) der Frage der Berücksichtigung einzelner Bevölkerungsgruppen in den jeweiligen Primärstudien. Zusätzlich wird auf (4) uneinheitliche Befunde mit Blick auf die Bedeutung sozio-demographischer Merkmale – insbesondere auch der Zugehörigkeit zu einzelnen Geburtskohorten – hingewiesen. Schließlich finden sich aktuell wenige Hinweise in der Forschung, (5) welches antisemitische Potenzial in der (Nicht-)Wählerschaft jenseits der demokratischen Parteien identifiziert werden kann. Diese fünf Desiderata werden auf der Grundlage bestehender Forschung diskutiert und auf der Grundlage der Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) untersucht. Im Ergebnis zeigt sich, dass bei einem strikteren Verständnis antisemitischer Einstellungen der Anteil derjenigen, die keinerlei Ressentiments gegenüber Jüdinnen und Juden äußern, deutlich geringer ist, als dies in der bisherigen Literatur benannt wird, antisemitische Einstellungen jedoch insgesamt in der Bevölkerung zurück gehen. Anhand von Regressionsanalysen wird deutlich, dass antisemitische Einstellungen sozial strukturiert sind und gleichsam in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. Es lassen sich drei zentrale Trägergruppen identifizieren: (i) die vor 1945 Geborenen überwiegend in Westdeutschland lebenden, (ii) Personen, die sich dem rechten politischen Spektrum zuordnen und (iii) dem Islam zugehörige Personen. Darüber hinaus lässt sich ein deutliches antisemitisches Potential bei WählerInnen der AfD und diverser Kleinst-Parteien aber auch bei Nicht-WählerInnen identifizieren. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion dieser Ergebnisse mit Blick auf die Ursachen und gesellschaftspolitischen Folgen antisemitischer Einstellungen in Deutschland.

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