Nachruf auf Dr. Thomas R. Eimer
Die Nachricht vom Tod unseres ehemaligen OSI-Kollegen, Betreuers und Freundes Thomas R. Eimer hat uns erschüttert.
Damals hatte er in einer E-Mail mit dem geradezu absurd-lapidaren Betreff „Nicht so gute Nachrichten“ mitgeteilt, dass er nur noch wenige Monate zu leben habe. Trotz dieser schlechten Nachrichten gehe es ihm „einigermaßen gut“. Er habe sein Leben so geführt, wie er es wollte. „Dadurch, dass ich mit mir im Reinen bin, kann ich den Tod akzeptieren“.
Wer nicht das Glück hatte, Thomas persönlich kennenzulernen, könnte das Geschriebene für eine pathetische Floskel halten. Das ist nicht der Fall.
Thomas ist sein Leben lang mit Leib und Seele für seine Überzeugungen eingetreten. Privat und als Wissenschaftler (eine Trennung, die es für ihn nicht gab) strebte er nach Gerechtigkeit. Er setzte sich in Deutschland in der SPD, in den Niederlanden dann in der Socialistische Partij (SP) für die Rechte von sozial Schwachen ein. Als Vertreter auch einer kritischen Theorie machte er mit seiner Forschung Machtgefälle und daraus resultierende Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar.
Die Idee des Eigentums und ihre vielfältigen rechtlichen Entsprechungen bildeten die Klammer um Thomas’ akademische Arbeit. Mit besonderer Hingabe hat er sich der autochthonen Bevölkerung in Indien und Brasilien gewidmet. Dass er mit dem Forschungsgegenstand (Landrechte) und seinem Zugang (systemkritisch) gegen den wissenschaftlichen Mainstream schwamm – seine aufwändigen Förderanträge wurden wiederholt abgelehnt – hielt ihn von seiner Forschung nicht ab. Er reiste in seiner „Freizeit“ und auf eigene Kosten in diese Länder, nahm schließlich eine Gastprofessur an der Universidade Católica Dom Bosco in Brasilien an und setzte sein Projekt auf diese Weise aus nächster Nähe fort. Es ging ihm nicht um Renommee oder seinen publication record (wenn waren sie Mittel zum Zweck). Er war mit sich im Reinen. Er lebte und forschte, wie er es für richtig hielt.
Ein Buchprojekt mit dem Titel “Eigentum und Herrschaft” blieb unvollendet. Als Fragment veröffentlichte er es aber auf einer eigens zur Verwaltung seines intellektuellen Nachlasses eingerichteten Website. Das mag kauzig erscheinen. Der Eindruck geht nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei, denn Thomas war kauzig, wenn auch auf eine liebenswerte Weise. Eigentlich ist die Website aber Ausdruck der Ernsthaftigkeit, mit der sich Thomas seiner Arbeit bis zuletzt widmete.
An seiner früheren Arbeitsstelle an der FernUniversität Hagen verbrachte er ab und zu eine Nacht auf der Isomatte unter seinem Schreibtisch, wenn der Termindruck groß und die Zugverbindung nach Dortmund zu schlecht war. Damit das möglich war, hatte er sich mit dem Wachmann angefreundet. Als er beim OSI anfing, musste er feststellen, dass die Büros am Wochenende abends verschlossen werden mussten und seine Nachtarbeit dort zu seinem großen Bedauern (!) erheblich eingeschränkt wurde. Nun, es hat seiner Produktivität keinen Abbruch getan
Sein innerer Kompass, die Unbeirrbarkeit und Beharrlichkeit, mit der er seine Vorhaben vorantrieb, beeindruckten viele Menschen, die ihn kannten. Thomas war ein im besten Sinne kritischer Wissenschaftler, der auch das universitäre System der Wissensproduktion nicht von seiner Kritik ausnahm und mit seiner eigenen Rolle in diesem haderte.
Er teilte seine Gedanken, stritt für seine Überzeugungen, blieb dabei aber immer offen für andere Sichtweisen und bezog diese in seine Theorien mit ein. Mit reflexhafter Empörung hielt er sich nicht auf.
Seine detaillierten Anmerkungen als Betreuer ließen auf beeindruckend aufmerksames Lesen schließen und selbst dann entschuldigte er sich noch manchmal dafür, nicht mehr kommentiert zu haben. Er war ausgesprochen konstruktiv in seiner Art gemeinsam Überlegungen weiterzuführen und wirkte aufrichtig interessiert daran, mit Studierenden und Promovierenden gemeinsam ihre Forschungsthemen zu verfolgen.
Thomas war Forscher, Mitstreiter, begabter Dozent, Mentor und Freund. Ihm waren die Menschen um ihn herum wichtig. Und er war wichtig für sie. An seinem Geburtstag, wenige Wochen vor seinem Tod, haben sich über 50 Menschen digital versammelt - Weggefährten aus allen Lebensabschnitten, zugeschaltet aus Ländern von Pakistan bis Brasilien - um ihren ehemaligen Schüler und Schulfreund, Kollegen, Professor, Mentor, Bruder, Onkel und Sohn zu feiern und – ja, auch das war vielen von uns am Bildschirm klar – um sich von ihm zu verabschieden.
Die Videokonferenz war ein bewegendes Zeugnis vom reichen und kosmopolitischen Leben Thomas, seiner Herzlichkeit und Aufrichtigkeit. Das Leben eines Mannes, der das Leben vieler Menschen geprägt und bereichert hat. Thomas hat sein Leben so geführt, wie er es wollte. Leider viel zu kurz. Dass er mit sich im Reinen war, spendet Trost.
Thomas R. Eimer starb am 6. April 2021 an seinem Wohnort Nijmegen. Er wurde 46 Jahre alt.
Thurid Bahr, Justus Dreyling, Anna Holzscheiter, Susanne Lütz und Verena Schüren