Exkursion Tanzania 2001
Exkursion des Instituts für Ethnologie nach Tanzania 2001
"Mambo vipi? Poa sana!"
Das Institut für Ethnologie der FU Berlin veranstaltete im Sommer 2001 eine dreimonatige Lehrforschung für Studierende nach Tanzania. Die Durchführung einer Feldforschung zum Erreichen des Magisterabschlusses stellt einen substantiellen Bestandteil des Studiums der Ethnologie dar. Sie ist eingebettet zwischen eine mindestens je einsemestrige Vor- und Nachbereitung. So können Studierende des Hauptfaches Ethnologie durch die in der Nachbereitungsphase erstellte schriftliche Projektarbeit einen benoteten Projektschein erwerben, der das Kernstück des Hauptstudiums darstellt. Die studentische Nachfrage nach der jährlich von der Afrika-Abteilung mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten angebotenen Exkursion war auch in diesem Jahr sehr hoch. Schließlich konnten 19 Studierende des Hauptfaches Ethnologie unter der Betreuung der beiden Wissenschaftlichen Mitarbeiter des Regionalbereichs Afrika, Undine Frömming und Jochen Seebode, erste praktische Erfahrungen im Feld sammeln.Dazu war natürlich eine intensive Vorbereitung notwendig, die bereits zwei Semester vor der Ausreise in das Forschungsgebiet begann. Sie umfaßte vornehmlich Sprachkurse der Hauptverkehrssprache Swahili, den Erwerb intensiver historischer und landeskundlicher Kenntnisse sowie die Erarbeitung begrenzter einzelner Forschungsprojekte. Diese ergänzten sich gegenseitig und wurden durch zwei thematische Schwerpunkte, Fragen zu Aneignungsprozessen von Natur und zu Jugendkulturen, locker strukturiert. Das bedeutete für die Studierenden vor allem, daß neben fachlichen Qualifikationen auch die Fähigkeit zu Teamwork als wichtige soziale Kompetenz eingeübt werden sollte. Nachdem sich die Exkursionsgruppe konstituiert hatte, und die ersten Forschungseposés überarbeitet und konkretisiert worden waren, reisten die ersten Studentinnen Ende Juni 2001 nach Tanzania aus.
Die studentischen Forschungsprojekte, die sich theoretisch an der Fragestellung nach Konzepten der Wahrnehmung von Natur orientierten, beschäftigten sich mit der Bedeutung von Dhows (arabisch beeinflußte Segelboottypen) und mit lokalem Wissen von Fischern in Zanzibar. Weiterhin wurden Auswirkungen des Arusha Nationalparks auf die indigene Bevölkerung, Konzepte der Naturwahrnehmung bei den Meru, sowie lokale Wahrnehmungsweisen von Malaria und Strategien gegen die Krankheit untersucht. Die Medizin der Maasai, der Umgang des Anderen in der tanzanischen Gesellschaft anhand des Phänomens von Menschen mit Albinismus in den Usambarabergen, sowie Maßnahmen der urbanen und ruralen Müllentsorgung waren weitere studentische Feldforschungsthemen.
Schwerpunkte der Forschungen, die sich mit tanzanischen Jugendlichen beschäftigten, waren Zukunftsvorstellungen von Schülern in bezug auf höhere Bildungsinstitutionen in Dar es Salam und Mwanza, die Situation von Straßenkindern in Mwanza, die Bedeutung von Rap für männliche Jugendliche in Tanzania und der Umgang mit neuen elektronischen Medien am Beispiel der Nutzung des Internets. Das diesjährige Film-, Theater- und Musikfestival in Zanzibar gab einigen Studentinnen die Möglichkeit, den Einfluß von Film auf das junge tanzanische Publikum näher zu untersuchen. Schwerpunkte lagen bei der Darstellung von Geschlechterrollen im Film und deren Rezeption sowie bei der vergleichenden Herausarbeitung von Biographien des vornehmlich jugendlichen Publikums. Daneben gewannen im Feld einige weitere Forschungsfragen an Gewicht, die sich der Auseinandersetzung mit der Moderne in Tanzania widmeten. So beschäftigten sich zwei Studentinnen mit dem Verhältnis des tanzanischen Publikums zur darstellenden Kunst und mit den Auswirkungen des Tourismus auf Zanzibar . Schließlich forschte eine Studierende über die Schwierigkeit der interkulturellen Kommunikation zwischen Forscherin und Informanten.
Die verschiedenen Fragestellungen erforderten neben eher klassischen ethnologischen Forschungsmethoden, wie der teilnehmenden Beobachtung, der Durchführung von Interviews und dem Führen eines Feldtagebuchs auch unterschiedliche andere Vorgehensweisen, die der jeweiligen Forschungssituation entsprechend entwickelt und angepaßt werden mußten. Trotz eines breiten Themenspektrums ergaben sich jedoch ähnliche Probleme bei der eigentlichen Durchführung der studentischen Einzelprojekte vor Ort.
Wo werden wir wohnen? Wie finde ich Informanten und vor allem, wie komme ich mit Informantinnen ins Gespräch? Welche Forschungsmethoden wende ich für mein spezielles Thema an...? Diese und andere Fragen beschäftigten die Studentinnen und Studenten vor der Ausreise nach Tanzania. Obwohl sie in langen Diskussionen im Seminarraum des Instituts am Drosselweg bereits im Vorfeld intensiv erörtert wurden, entpuppte sich die Situation in Tanzania als weit weniger problematisch, als von der Ferne gedacht. "Am Anfang konnte ich Afrika noch gar nicht denken..." stellte eine der Exkursionsteilnehmerinnen zu Anfang ihres Forschungsaufenthalts fest, um kurz danach zu bemerken, sie habe sich bisher ganz gut eingelebt, eine schöne Unterkunft und bereits viele interessante Gesprächspartner für ihr Forschungsvorhaben gefunden. Allerdings stellte sich bei ihr, wie auch bei allen anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern schnell heraus, daß die ursprünglich geplanten Forschungsmethoden an die spezielle Situation vor Ort angepaßt werden mußten. So entstanden durch die Wechselwirkung zwischen der Wahrnehmung der sozialen Realität vor Ort und der kritischen Hinterfragung theoretischer Vorannahmen neue Hypothesen und Perspektiven auf die Forschungsthemen, die im weiteren Verlauf der Forschung wiederum mit verschiedenen Informanten diskutiert und mit erhobenen Daten abgeglichen werden konnten. Es waren also viel studentische Eigeninitiative, Kreativität und Flexibilität gefragt, um zu den erwünschten Ergebnissen zu gelangen. Das offene, freundliche Entgegentreten der Tanzanier machte es den meisten Studierenden recht leicht, soziale Kontakte aufzubauen. Dennoch kristallisierten sich einige gleich gelagerte Probleme bei der praktischen Umsetzung der unterschiedlichen Einzelprojekte heraus.
Im Feld wurde von allen die mangelnde eigene Sprachkompetenz in Swahili als erhebliches Defizit empfunden. Dies führte dazu, daß die Studierenden ihre Swahili-Kenntnisse in Sprachkursen vor Ort weiter vorantrieben.
Um in die Forschungsfelder "einsteigen" zu können, mussten soziale Kontakte geknüpft werden. Soziale Beziehungen zwischen Forschern und den Beforschten gestalteten sich unterschiedlich. Die Unterscheidung zwischen "(bezahltem) Informant" und "(echtem) Freund" fiel vielen Studierenden zunehmend schwerer und auch die Frage nach Vergütung für Hilfsleistungen wurde individuell verschieden gelöst. Für viele Studentinnen und Studenten stellten sich längerfristig Beziehungen zu Informanten als konflikthaft heraus. Oftmals prallten verschiedene Erwartungshaltungen der Studentinnen und der männlichen Informanten aufeinander. Während die Feldforscherinnen soziale Kontakte vornehmlich unter der Perspektive der Datengewinnung für ihre Forschungsprojekte sahen, interpretierten einige der jungen tanzanischen Männer dies als Gelegenheit zur Anbahnung sexuell gefärbter Beziehungen. Obwohl sich die Studentinnen durch Kleidung, Art und Weise ihres öffentlichen Auftretens an die lokale kulturelle Etikette anzupassen und den Grund ihrer Anwesenheit sowie die Absichten ihrer Forschungsvorhaben klar zu signalisieren suchten, kam es trotzdem zu erheblichen kulturellen Mißverständnissen. Diese konnten oft nur durch entschlossenes persönliches Auftreten und dem Insistieren auf den wissenschaftlichen Charakter der Arbeit ausgeräumt werden. Die sukzessive Anpassung an einen fremdkulturellen Kontext erforderte erhebliches Fingerspitzengefühl, eigene Flexibilität und .kritisches Vertrauen in sich selbst. Fähigkeiten, die so nur in einer praktischen Feldforschung erlernt werden können, nicht aber in Theorieseminaren.
Ende August trafen sich die Exkursionsleiter und die Exkursionsteilnehmer zu einer Gesamtkonferenz in Zanzibar. Dort wurde der Stand der einzelnen Forschungen präsentiert, erste Ergebnisse vorgestellt, die weitere zeitliche Planung und der Verlauf der Projekte diskutiert. Durch den Austausch von Erfahrungen und individuell unterschiedlichen Lösungsstrategien für Probleme im Feld wurde einerseits das Gruppenbewußtsein gestärkt, andererseits konnten die Studentinnen und Studenten fachliche Beratung zu den eigenen Projekten erhalten. So konnten die Teilprojekte in ethnologische Theoriediskussionen eingebunden werden, und es ergab sich eine dichtere Vernetzung der einzelnen Forschungsvorhaben.
Die Forschungsreise wurde vier Wochen lang durch einen Kameramann, Kristian Petersen, filmisch begleitet. Ziel war die Produktion eines kurzen Dokumentarfilms, der exemplarisch anhand der Exkursion nach Tanzania zeigt, wie eine Lehrforschung aussehen kann. Er richtet sich vornehmlich an zukünftige Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Lehrforschungen des Instituts für Ethnologie und soll vor allem dort als Lehrmittel eingesetzt werden. Aber auch Interessierten anderer Fächer, die Exkursionen in fremdkulturelle Regionen planen und natürlich auch allen, die sich mit Fragen der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen beschäftigen, bietet der Film interessante Einblicke in die Freuden und Probleme der Forschungspraxis.
Der Film ist etwa 22 Minuten lang und trägt den Titel "Mambo vipi? - Eine studentische Exkursion des Instituts für Ethnologie der FU Berlin nach Tanzania 2001". Er enthält vor allem Aussagen der Berliner Studentinnen, Studenten und ihrer tanzanischen Gesprächspartner. Dadurch gibt er einen Einblick in die vielfältigen Forschungsthemen, die während des Feldaufenthalts bearbeitet wurden. Selbstreflexive Kommentare der Hauptprotagonisten und das Stakkato einer tanzanischen Rap Performance bieten den Zuschauern des Videofilms kurze Ausschnitte aus dem Forschungsprozeß, Momentaufnahmen der Feldforschung und der Nachbereitungsphase in Berlin 2001/02.
Die Dokumentation ist ab Februar 2002 über folgende Kontaktadresse zu beziehen: Undine Frömming oder Jochen Seebode, FU Berlin, Institut für Ethnologie, Regionalbereich Afrika, Tel.: 838- 56730 / -56725, Email: fromming[at]zedat.fu-berlin.de oder: seebode[at]zedat.fu-berlin.de. Der Preis für eine Kopie der VHS Videokassette beträgt 20 Euro (für Studierende 15 Euro).
Die Exkursion verlief insgesamt sehr erfolgreich. Trotz großer Gruppenstärke der Exkursion und geographisch weit auseinanderliegenden Forschungsgebieten wurden mit zunehmender zeitlicher Dauer inhaltliche wie theoretische Berührungspunkte der einzelnen Forschungsthemen immer wieder deutlich. So entstand ein fruchtbarer Informationsaustausch. Viele der gesammelten interessanten Daten lassen vielversprechende Projektberichte und spannende Abschlußarbeiten erwarten.
Mambo vipi?, die von Tanzaniern umgangssprachlich formulierte oft gestellte Frage nach dem Wohlbefinden, konnte deshalb meist mit einem studentisch saloppen poa sana! (etwa: "sehr cool") beantwortet werden.
(js)
Durch Dr. Undine Frömming betreute Forschungsprojekte
(die Feldforschungsberichte sind in der Bibliothek des Instituts für Ethnologie zu erhalten)
Sina Arnold: "The Arusha National Park and Ngurdoto village – account of a relationship"
Esther Denzinger: "Konstruktion von Malaria"
Britta Heine: "Naturaneignung im Kontext von Naturschutz. Wahrnehmungen von Land und Natur bei den Meru am Arusha Nationalpark in Tansania"
Kaj Osteroth: "Beobachtungen zur Kunstproduktion in Bagamoyo"
Lilian Schmid: "Umgang mit Müll in Tanzania"
Mario Schwalbe: "Umweltkonzeptionen von Fischern auf Zanzibar"
Marit Voß: "Auswirkungen des Tourismus auf Zanzibar. Fallbeispiel Nungwi"
Heike Wintershoff: "Die Medizin der Maasai"
Weitere, vorwiegend durch Jochen Seebode, betreute Projekte:
Juliane Behr: "Biographieforschung auf Zanzibar"
Florian Bieker: "Albinismus in Lushoto"
Julia von Bothmer: "Zwischen Hollywood und Bollywood. Kinofilm auf Zanzibar"
Gabriel Hacke: "Hip Hop in Tanzania"
Melanie Schwalbe: "Genderkonstruktionen und Film auf Zanzibar"
Holger Spöhr: "High-School-Schüler in Mwanza"
Markus Wiencke: "Strassenkinder in Mwanza"
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Schlagwörter
- Ethnologie, FU Berlin, Südasien, Orissa, Naturkatastrophen