Forschung und Politik
Über den wissenschaftlichen Output nach der Studentenbewegung wird bis heute gestritten. Manche weisen auf die Dissertationen hin, die durch den politischen Eifer liegen geblieben sind. Andere führen die Pressekonzentrationsforschung von Jörg Aufermann, Manfred Knoche und Axel Zerdick als Beispiel für die Berliner Produktivität an oder die Arbeiten von Elke Baur, deren Projekt 4 Wochen ohne Fernsehen 1978 den Grimmepreis erhielt. Wie bilanziert man Forschung? Geht es um Dissertationen und Habilitationen? Um eingeworbenes Geld? Kann man Forschungsleistungen beurteilen, ohne ihre Rahmenbedingungen zu sehen?
Der kritisch-emanzipatorische Habitus ist in diese Bilanz einzubeziehen: Wissenschaft zur Veränderung der Gesellschaft. Für die meisten gehörten in den 1970er Jahren Forschung, politische Arbeit und Journalismus zusammen. Schwerpunkte der Arbeit waren: Medienökonomie und -politik, Journalistenausbildung. Daneben gab es Kinder- und Jugendmedienforschung, Nachrichtenanalysen, Semiotik. Der Mittelbau war Initiator, auch bei Drittmitteln.
Den Schub durch Telekommunikation und Kabelfernsehen münzten auch die neuen Professoren Gernot Wersig (Informations- und Dokumentationswissenschaft) und Axel Zerdick (Medienökonomie) in Drittmittelforschung um. Zerdicks Name ist ebenso wie der von Jan Tonnemacher mit der Kabelbegleitforschung verbunden. Tonnemacher, 1982 außerplanmäßiger Professor, 1992 Ruf nach Eichstätt, trug zu den sechs Habilitationen bei, die bis Ende der 1980er gelangen:
1971: Jörg Aufermann
1977: Jan Tonnemacher
1981: Bodo Rollka
1981: Manfred Knoche
1982: Dieter Hirschfeld
1989: Günter Bentele
Die Forschungsbilanz ist nicht ohne Raumnöte und befristete Stellen, nicht ohne Besetzungssperren und abwesende Professoren und Professorinnen zu ziehen. Hinzu kommt: Weder das Wachstum der Hochschullehrer- (bis 1978 fünf) noch das der Mittelbaustellen hielt mit den Studierendenzahlen Schritt. Die Folge: Überlast in der Lehre.
Lagerkämpfe um Stellen
Zu den Rahmenbedingungen der Forschung in dieser Zeit gehören auch die Lagerbildungen. Zeitzeugen haben von mehreren Fraktionen berichtet und dabei die Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten (ADS), die SPD-nahen „Karrieristen“ und die sogenannte Süßmaus-Fraktion unterschieden. Diese Bezeichnungen verraten, dass die Konflikte entlang mehrerer Linien verliefen: zwischen politischen Ideen, Geschlechtern, Fachverständnissen und zwischen Theoretikern und Praktikern. Während die der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) nahestehenden ADSen praxisbezogen arbeiteten, wollten die „Karrieristen“ ihre Laufbahn in der Kommunikationswissenschaft planen. Als „Süßmäuse“ sind alle jene (zumeist Frauen) bezeichnet worden, die ohne Gruppenkonformität arbeiten wollten und deshalb für naiv gehalten wurden. Hauptgegenstand der Auseinandersetzungen: Stellen. Austragungsorte: vor allem die Gremien, in denen Viertelparität praktiziert wurde. Logik: Mehrheiten organisieren. Die Atmosphäre am Institut empfanden manche als schlecht. Jürgen Prott, 1978 auf eine Professur für Kommunikationssoziologie berufen, hat von einer „Schlangengrube“ gesprochen und das Institut nach knapp drei Jahren verlassen. Auswärtige Bewerber hatten es schwer. Die Berufungen der Soziologen Dieter Prokop und Horst Holzer, die sich mit kritischen Arbeiten zur Massenkommunikation einen Namen gemacht hatten, scheiterten schon am Lagerkampf. Kritische Kommunikationsforschung konnte dadurch nicht nachhaltig verankert werden.
Im Abgeordnetenhaus gibt es in den 1970ern von der CDU getriebene Redeschlachten über eine „kommunistisch unterwanderte“ Freie Universität. Im Mittelpunkt: Der Fachbereich 11 Philosophie und Sozialwissenschaften, zu dem die Publizistikwissenschaft gehört. Gefordert wird die Rücknahme von Mitbestimmung und mehr staatliche Kontrolle. Die Forderungen werden flankiert von Gesetzen (siehe rechtlicher Kontext) und von Kampagnen der konservativen Notgemeinschaft für eine freie Universität (NofU) öffentlichkeitswirksam unterstützt. Die NofU veröffentlicht Verzeichnisse, in denen auch Publizistikwissenschaftler namentlich aufgeführt werden, die sich in den SEW-nahen Aktionsgemeinschaften von Demokraten und Sozialisten engagiert haben. 1980 löst der SPD-Wissenschaftssenator und Kommunikationswissenschaftler Peter Glotz den Fachbereich auf. Seine Diagnose: fehlende Rechtskonformität und eine „ungünstige Personalstruktur“. Sein Plan für die Publizistikwissenschaft: Gründung eines eigenständigen Fachbereichs mit mehr Professuren. Ausbau der Professuren auch, um die Lehre aus dem Einflussbereich des Mittelbaus zu nehmen. Dafür werden Mittelbaustellen gekürzt. Die Maßnahmen bringen zwar eine gewisse Befriedung, aber auch Lähmung. Der Aufbau des neuen Fachbereichs dauert. Aus dem Ausbau wird nichts. 1981 wechselt die Regierung. Dem CDU-Senat reichen die Maßnahmen nicht. Wissenschaftssenator Wilhelm Kewenig folgt mit einer Blockberufung 1985/86 den Empfehlungen eines von ihm eingesetzten konservativ besetzten Expertengremiums und gestaltet die Publizistikwissenschaft grundlegend um. Die neuen Schwerpunkte: Geschichte, Journalismus und Empirie (vgl. den Stammbaum der Professuren am IfPuK).
Rechtlicher Kontext
1969 Berliner Universitätsgesetz
Professoren verlieren absolute Mehrheit in Gremien, erweiterte Mitbestimmung sowie weitere Reformen
1972 „Radikalenerlass“
Gemeinsamer Beschluss von Bundesregierung und Ministerpräsidenten. Ziel: Zugangsbarriere zum öffentlichen Dienst für Personen, die an als verfassungswidrig eingestuften Aktivitäten teilgenommen haben
1973 Bundesverfassungsgerichtsurteil
Dominierende Stellung von Professoren in Gremien festgeschrieben
1974 Novellierung Berliner Universitätsgesetz
verstärkte staatliche Kontrolle der Verwaltung, Professorenmehrheit in Gremien
1978 Berliner Hochschulgesetz
Wiedereinführung professoraler Mehrheit in Gremien, Umsetzung des Hochschulrahmengesetzes von 1976