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Dr. Andrei Zavadski

Andrei_Zavadski
Bildquelle: Roger Eberhard

Dissertation: “Mnemonic Counterpublics: Challenging the Political Regime in Russia with Memories of the 1990s"

Andrei Zavadski is a multidisciplinary researcher working at the intersection of memory studies, public history, and media studies. He is currently a postdoctoral researcher at the Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH), Humboldt-Universität zu Berlin. He graduated from Moscow State University of International Relations (MGIMO-University) with a B.A. in Regional Studies (2009) and holds a dual M.A. in Public History from Moscow Higher School of Social and Economic Sciences and Manchester University (2014). In 2015-2019, he worked as a researcher at FU Berlin’s Institute for Media and Communication Studies (Emmy Noether Research Group “Mediating (Semi-)Authoritarianism – The Power of the Internet in the Post-Soviet World”), where he defended his Ph.D. titled “Mnemonic Counterpublics: Challenging the Political Regime in Russia with Memories of the 1990s”. He is a co-editor of “Politics of Affect: The Museum as a Public History Space” (2019, in Russian). Based in Berlin, he currently works as an editor at The Garage Journal: Studies in Art, Museums & Culture and is also a regular contributor to Colta.ru, openDemocracy Russia, and other publications.

Titel: „Mnemonische Gegenöffentlichkeiten: Wie das politische Regime in Russland durch Erinnerungen an die neunziger Jahre herausgefordert wird“ 

Die vorliegende Dissertation erforscht mnemonischen Dissens in nichtdemokratischen Kontexten. Sie ist eine interdisziplinäre Untersuchung an der Schnittstelle von Kommunikationsforschung und Memory Studies und betrachtet die Frage, wie gemeinsame Erinnerungen an die Vergangenheit zu einem konstituierenden Element der in autoritären Regimen entstehenden Gegenöffentlichkeiten werden können. Die Arbeit schlägt das Konzept der „mnemonischen Gegenöffentlichkeiten“ (mnemonic counterpublics) vor, theoretisiert es und wendet es an. Mnemonische Gegenöffentlichkeiten werden als Kollektive konzipiert, die ihren eigenen Ausschluss von der dominierenden Öffentlichkeit im Hinblick auf bestimmte Formen der Erinnerung an die Vergangenheit anerkennen und versuchen, diesen Ausschluss zu überwinden. Dabei artikulieren sie die abweichenden Diskurse innerhalb der multiplen Öffentlichkeit eines Landes. Im Kontext einer übergreifenden Erinnerungspolitik, die die Vergangenheit instrumentalisiert, um autoritäre Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren, können solche Teilöffentlichkeiten nicht nur die vorherrschenden Formen der Erinnerung in Frage stellen, sondern auch den politischen Status quo im weiteren Sinne. Die Arbeit adressiert vier Forschungslücken, die anhand der umfassenden Literaturrecherche festgestellt wurden: 1) den Mangel an Forschung zur Entstehung von Gegenöffentlichkeiten in nichtdemokratischen Kontexten; 2) den Mangel an Forschung über die Verhältnisse zwischen Gegenöffentlichkeit und (kollektiver) Erinnerung; 3) den Mangel an Forschung dazu, wie sich der digitale Wandel auf die Entstehung und Funktionsweise von Gegenöffentlichkeiten auswirkt; sowie 4) den Mangel an Forschung dazu, wie digitale Erinnerungen in autoritären Kontexten funktionieren und welche Rolle sie bei der Entstehung von Gegenöffentlichkeiten spielen können. 

Diese als kritische Fallstudie konzipierte Dissertation untersucht die Entstehung von mnemonischen Gegenöffentlichkeiten in der multiplen Öffentlichkeit Russlands. Im Zentrum der analysierten Gegenöffentlichkeiten stehen Erinnerungen an die 1990er Jahre, die der offiziellen Erinnerungspolitik des Landes zuwiderlaufen. Die russischen Behörden haben die Erinnerung an das erste postsowjetische Jahrzehnt auf die Erzählung von likhie 90-e („turbulente, rauhe 90er Jahre“) reduziert, die diese Dekade fast ausschließlich als Zeit des politischen Chaos, des wirtschaftlichen Niedergangs und der kriminellen Gewalt darstellt. Dieses Narrativlässt die beispiellosen Freiheiten und andere positive Aspekte des Jahrzehnts außer Acht und vergleicht die neunziger Jahre in ungünstiger Weise mit der Zeit nach der Machtübernahme Wladimir Putins. Somit trägt sie zur Legitimation und Stabilisierung seiner Herrschaft bei. In der Dissertation werden die Initiativen analysiert, die einer solchen verordneten Sichtweise über das Jahrzehnt widerstehen. Es werden eine Reihe von Offline- und Online-Medienprojekten untersucht, die die Gegenerinnerungen an die 1990er Jahre in Russland auf den neuesten Stand bringen und damit nicht nur die historische Politik der Behörden in Frage stellen, sondern auch das gegenwärtige politische Regime Russlands herausfordern.

Diese Arbeit analysiert die von Colta.ru, dem Jelzin-Zentrum und der Open University aktualisierten Gegenerinnerungen der neunziger Jahre – und demonstriert die Existenz von mnemonischen Gegenöffentlichkeiten in Russland. Dabei werden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Erinnerungsstrategien der drei Projekte und folglich zwischen den von ihnen aktualisierten Gegenerinnerungen aufgedeckt. Infolgedessen werden drei Variationen von mnemonischen Gegenöffentlichkeiten abgeleitet und diskutiert. Es wird argumentiert, dass im Gegensatz zu demokratischen Kontexten, in denen das Entstehen von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit von der Zusammensetzung der Zivilgesellschaft abhängt, die Teilöffentlichkeiten in autoritären Regimen stärker durch den Staat sowie durch pro-staatlichen Akteuren definiert und mitbestimmt werden. Diese Analyse zeigt unter anderem, dass Kooptation – eine der Methoden, die von autoritären Regimen zunehmend angewendet werden, um Dissidenten unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig eine demokratische Fassade aufrechtzuerhalten – auch für Gegenöffentlichkeiten charakterisierend sein kann.

Die Offline- und Online-Elemente der analysierten Projekte werden in dieser Dissertation als miteinander verflochten betrachtet. Es wird gezeigt, dass im autoritären Kontext Russlands mit großer Wahrscheinlichkeit die Gegenöffentlichkeiten im digitalen Raum entstehen, wobei Facebook, Instagram, YouTube und anderen Plattformen eine entscheidende Rolle spielen. Die Gegenöffentlichkeiten haben jedoch mehr Chancen sich aufrecht zu erhalten – und damit mehr Potenzial, ihre eigene Ausgrenzung zu überwinden und den politischen Status quo in Frage zu stellen -, wenn sie auch offline vertreten sind. Schließlich wird auch argumentiert, dass Affekte und Emotionen für die Entstehung von Gegenöffentlichkeiten von großer Bedeutung sind. Gewöhnlich als Räume des rationalen Diskurses betrachtet, haben sie in der Regel eine inhärente emotionale Dimension, da ihre Entstehung auf der Artikulation von Ausschlussgefühlen (feelings of exclusion) beruht. Außerden neigen Erinnerungen oft dazu, mit Gefühlen verbunden zu sein. Diese Analyse zeigt, dass die Teilnehmer der mnemonischen Gegenöffentlichkeit affektive und emotionale Instrumente und Techniken (zum Beispiel Nostalgie) einsetzen können, um die Wirksamkeit ihrer diskursiven Praktiken zu erhöhen.

Die Ergebnisse dieser Dissertation können auf andere nichtdemokratische Kontexte übertragen werden, abhängig davon, inwieweit innerhalb eines bestimmten Regimes Dissens geäußert wird und welche Bedeutung die Erinnerungspolitik dabei hat. Weitere Forschung zu mnemonischen Gegenöffentlichkeiten könnte zu einem besseren Verständnis der Funktionsweise gedächtnisgetriebener Meinungsverschiedenheiten in nichtdemokratischen Kontexten beitragen sowie zeigen, welche Wirkung diese Teilöffentlichkeiten auf politischen Widerstand und kollektives Handeln nehmen können.

Publications  

Robbe, Ksenia & Zavadski, Andrei (forthcoming 2022) ‘C’mon, turn Swan Lake on: Memories of the 1990s at the Belarusian protests of 2020. Digital Icons: Studies in Russian, Eurasian and Central European New Media.

Zavadski, Andrei & Dubina, Vera (2021) Eclipsing Stalin: The GULAG History Museum in Moscow as a manifestation of Russia’s official memory of Soviet RepressionProblems of Post-Communism (published online first). Part of a special issue on the Gulag and Soviet repression in Russian museums, edited by Sofia Gavrilova and Andrei Zavadski (forthcoming in 2022).

Zavadski, Andrei & Dubina, Vera (eds) (2021) Vse v proshlom: teoriya i praktika publichnoi istorii [All Things Past: Theory and Practice of Public History]. Moscow, Novoe izdatelstvo.

Litvinenko, Anna & Zavadski, Andrei (2020) Memories on demand: Narratives about 1917 in Russia’s online publicsEurope-Asia Studies, 72(10): 1657-1677. DOI: 10.1080/09668136.2020.1791801.

Zavadski, A., & Töpfl, F. (2019). Querying the Internet as a mnemonic practice: how search engines mediate four types of past events in Russia. Media, Culture & Society, 41(1), 21–37. 

Zavadski, A., Sklez, V., & Suverina, E. (eds.) (2019). Politika affekta: Muzei kak prostranstvo publichnoi istorii [Politics of Affect: The Museum as a Public History Space]. Moscow: Novoie Literaturnoie Obozrenie. 

Zavadski, A. (2019). "Pamiat' na steroidakh": memory studies i novaya ekologiya nauchnoi zhizni. Letnyaya shkola "Mnemonics 2018: Ekologii pamiati (Lyovenskiy katolichskiy universitet, Belgiya, 22-24 avgusta 2018 g." [“Memory on steroids”: memory studies and a new ecology of academic life. Summer school “Mnemonics 2018: Ecologies of Memory” (KU Leuven, Belgium, August 22-24, 2018)]. Novoie Literaturnoie Obozrenie. №2 (156).

Zavadski, A., Isaev, E., Kravchenko, A., Sklez, V., & Suverina, E. (2017). Publichnaia istoriia: mezhdu akademicheskim issledovaniem i praktikoi [Public History: Between Academic Research and Practice], Neprikosnovennyi zapas, 112(2). 

Giesen, A., Zavadski, A., & Kravchenko, A. (2016). Mezhdu rabskim trudom i sotsialisticheskim stroitel'stvom. Zametki o tom, kak v ekspozitsiiakh nekotorykh rossiiskikh muzeev reprezentirovan trud zaklyuchennykh Gulaga [Between Slave Labor and Building Socialism: Notes on How the Labor of Gulag Prisoners is Represented in Certain Russian Museum Exhibitions] // Novoie Literaturnoie Obozrenie. Special issue "Rabstvo kak intellektual'noie naslediie i kul'turnaia pamiat'" (Slavery as Intellectual Legacy and Cultural Memory). №142, Vol. II. 

Zavadski, A. (2015). Nam nuzhna svoia Assman [We Need Our Own Aleida Assmann]: Review of the book "Dlinnaia ten’ proshlogo: Memorial’naia kul’tura i istoricheskaia politika [The Long Shadow of the Past: Memory, Culture and Memory Politics]" by Aleida Assmann // Zhurnal issledovanii sotsial'noi politiki [The Journal of Social Policy Studies]. №3. Vol. 13.P. 501-508.

Zavadski, A. (2015). Pis’ma iz lageria kak sposob sokhranit’ sebia: sluchai khudozhnika Grigoriia Filippovskogo [Letters from the Gulag as a Survival Technique: A Case of the Artist Grigorii Filippovskii] // Laboratorium: Journal of Social Research. №1. P. 147-157.


In the media 

Zavadski, A. (2018). Ego-intellektualnost': pochemu my drug s drugom ne razgovarivaem [Ego-Intellectualism: Why We Do Not Talk with Each Other] // Colta.ru. 

Zavadski, A. (2018). Pamiat', molchi? [Memory, Don't Speak? On the Digitisation of Memory] // Colta.ru. 

Zavadski, A. (2017).  Alles, nur keine Revolution! Drei Ausstellungen zum hundertsten Jahrestag der Ereignisse von 1917 // Russland-Analysen.  And in English: Someone 2017: “Anything but Revolution!” // Syg.ma. 

Zavadski, A. (2017). Vremia slomalos' [Time Has Broken Down]: Review of the book "Raspalas' sviaz' vremen? Vzliot i padenie temporal'nogo rezhima Moderna" [Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne] by Aleida Assmann // Colta.ru. 

Zavadski, A. (2017). Neprikosnovennaia svyatynya ili objekt refleksii? [A Sacred Place or an Object of Reflection? On Berlin's Memorial to the Murdered Jews of Europe and Yolocaust] // Colta.ru.  

Zavadski, A. (2016). Odni Drugie [Only the Other(s)]: Fear as a Staple of Russian Society // OpenDemocracy.net.  The English-language version: We're All Strangers Here // OpenDemocracy.net. 

Zavadski, A. (2016). Svoboda na oshchyup' [Touching Freedom]: Review of the book "Muzej 90-kh: Territoriia svobody" [Museum of the 1990s: Freedom Territory] by Katerina Belenkina, Ilya Venyavkin, Anna Nemzer, Tatyana Trofimova // Colta.ru.  

Zavadski, A. (2016). Moscow’s New GULAG History Museum: A Ghetto for Memory? // Lernen aus der Geschichte Magazin, "GULAG" issue. 

Zavadski, A. (2016). Webinar "A Ghetto for Memory? Moscow’s GULAG History Museum and Russian Politics of Memory" // Die Agentur für Bildung - Geschichte, Politik und Medien e.V.  

Zavadski, A. (2016).  Pamiat' o natsizme: mezhdu moralizatsiej i istorizatsiej [Memory of Nazism: Between Memorialisation and Historisation]: Review of the book "Novoie nedovol'stvo memorial'noi kulturoi" [Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention]" by Aleida Assmann  // Colta.ru. 

Zavadski, A. (2015). Rezervatsia dla pamiati? [Ghetto for Memory?]: Essay on the GULAG History Museum in Moscow //  Russkij zhurnal (russ.ru) 


Conference presentations

2019: Memory of the Holocaust in Museums and Beyond (four lectures). Winter School, SEFER Center for University Teaching of Jewish Civilization, 1-5 February, Moscow, Russia.

2019: “Queering the body. Emergence of the past that did not exist.” Co-authored with Katerina Suverina. Presented at the ALMS Conference 2019 “Queering Memory. Archives – Arts – Audiences. Archives, Libraries, Museums and Special Collections: An International LGBTIQ* Conference”, 27-29 June, Berlin, Germany.

2019: “Co-opting countermemories? The Boris Yeltsin Museum in   Yekaterinburg”. Presented at the annual conference of the Memory Studies Association (MSA), 24-28 June, Madrid, Spain.

 019: “Memories on demand: Narratives about 1917 in Russian authoritarian publics”. Co-authored with Anna Litvinenko. Presented at the annual conference of the International Communication Association (ICA), 24-28 May, Washington, USA.

2018: “Fragmented revolution: Memory narratives about 1917 in Russian authoritarian publics”. Co-authored with Anna Litvinenko. Presented at the European Communication Research and Education Association (ECREA), 31 October – 03 November, Lugano, Switzerland.

2018: “Reinforcing Dominant Narratives: Search Engines and Representations of the Past”. Presented at the annual conference of the British Association for Slavonic and East European Studies (BASEES), 13-15 April, Cambridge, UK.

2017: “Engaging with the Past Algorithmically: Searching the Internet as a Mnemonic Practice”. Presented at the annual conference of the Memory Studies Association (MSA), 14-16 December, Copenhagen, Denmark.

2017: “The Internet and Mnemonic Practices”. Presented at the conference “Internet Beyond Numbers”. Moscow School of Social and Economic Sciences, May 23-24, Moscow, Russia.

2016: “‘Turbulent Democracy’? Digital Memories of the 1990s in Russia”. Presented at the annual conference of the International Association of Media and Communication Research (IAMCR), 27-31 July, Leicester, UK.

2016: “Shared Digital Memories of the 1990s as a Constitutive Element of an Emergent Counterpublic in Russia”. Presented at the LSE Media and Communications PhD Symposium 2016 “Everyday Politics and Media and Communications: New Approaches for Theories and Methods in the 21st Century”, June 30, London, UK.

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