Ein Jahr am Institut für Soziologie der Indiana University Bloomington (USA)
Das akademische Auslandsamt der Freien Universität Berlin bietet einjährige Direktaustauscheprogramme mit einigen Partneruniversitäten in den USA auch für Studierende im Master an. Diese Programme sind zusätzlich zum Erlass der Studiengebühren mit einem großzügigen Lebenshaltungsstipendium für zwei Semester verknüpft[1]. Im Rahmen eines solchen Programms habe ich das zweite Jahr meines MA in Soziologie an der Indiana University in Bloomington, im amerikanischen Mittleren Westen verbracht. Gerade für Studierende der Soziologie – und v.a. für Interessierte an Quantitativen Methoden – kann ich das Austauschstudium dort sehr empfehlen. Man hat dort die Möglichkeit, in einem kleinen aber exzellenten PhD-Programm erste Einblicke in die soziologische Forschungspraxis und in die amerikanische Soziologietradition zu erlangen.
Bloomington ist eine prototypische amerikanische College-Stadt. Die Uni mit ca. 40 000 Studierenden dominiert das Leben der 80 000-EinwohnerInnen Gemeinde in jeglicher Hinsicht. Es gibt zahlreiche Cafés (auch jenseits von Starbucks), Bars jeden Stils (von sog.
„Sports-Bars“ über einen Salsa-Club und als „Hipster“-Bars verschriene Einrichtungen bis zu einem LGBTQ-Club), (erschwingliche) Restaurants verschiedenster Geschmacksrichtungen, ausgedehnte Sporteinrichtungen, kulturelle Veranstaltungen (v.a. musikalisch von Oper bis Indie), Coops etc. In dieser Hinsicht ist Bloomington eine kleine Oase im sonst eher eintönigen Bundesstaat Indiana, so dass es einem dort – selbst aus Berlin kommend – in einem Jahr bestimmt nicht langweilig wird (wenngleich die Lokale um drei Uhr morgens schon schließen).
Die Indiana University genießt – auch wenn es sich natürlich nicht um Harvard, Berkeley oder dergleichen handelt – vor allem im Bereich der Graduate-Programme (also MA und PhD) hohes Prestige. Das spiegelt sich auch in den dort geschätzten Rankings der Zeitschrift „US News“ wider. Viele Studierende im Graduate-Bereich lassen sich in ihrer Studienortwahl durchaus von diesen Rankings leiten. Ob diese nun aussagekräftig sind oder nicht: in jedem Fall war das akademische Niveau am Institut für Soziologie exzellent, sowohl was die akademischen Anforderungen angeht als auch das Diskussionsniveau in den Seminaren. Als Berliner StudentIn sollte man sich deshalb darauf einstellen, dass der Lese- und Arbeitsaufwand erheblich ist. Ein Buch pro Kurs pro Woche zu lesen und kurz schriftlich zu kommentieren ist keine Seltenheit. Ich habe drei Seminare pro Semester belegt (bis zu vier werden finanziert), was mir völlig ausreichend erschien. Vor allem gegen Ende des Semesters überschlagen sich nämlich die Abgabetermine für Hausarbeiten – ich hatte am Ende gut zwei Wochen Zeit für drei Hausarbeiten à 15 bis 20 Seiten. Trotzdem war es machbar und es bleibt während des Semesters auch genügend Zeit, eigenen Freizeitaktivitäten nachzugehen.
Das Institut für Soziologie ist mit einer Kohortengröße von ca. 10 bis 15 Studierenden relativ klein, so dass man erstens alle anderen Studis schnell kennenlernt (denn auch Austauschstudierende werden selbstverständlich in den Instituts- und Außerinstitutsalltag integriert) und zweitens ein traumhaftes Betreuungsverhältnis genießt. Entsprechend sind die ProfessorInnen dort sehr offen, engagiert und hilfsbereit. KommilitonInnen von mir haben sich zum Beispiel auch einfach so mal mit Lehrkräften getroffen, um sich über Forschung und Karriere zu unterhalten. In den Fachkreisen der amerikanischen Soziologie scheint das Institut zu den Top-Forschungseinrichtungen gezählt zu werden. Es hat dabei eine dezidiert quantitative Ausrichtung (einer der Größen des Instituts ist der Statistiker J. Scott Long). Das zeigt sich auch in dem Austauschprogramm mit der Uni Mannheim, von der jedes Jahr drei MA-Studierende nach Bloomington kommen. Wer also Statistik und Methoden mag, ist dort gut aufgehoben. Inhaltlich ist die Forschung stark auf Bindestrich-Soziologien wie Bildung, Gesundheit und Sozial-Psychologie fokussiert. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, eine eigene Nische zu finden, denn die Lehrenden lassen einem bei der Themensuche für Seminararbeiten weitgehend freie Hand. Es wird sogar davon ausgegangen, dass ihr euer eigenes Forschungsinteresse schon mehr oder weniger klar im Kopf habt. Das ist akademisch gesehen eine der besten Erfahungen, die ich dort gemacht habe: man wird selbst als StudentIn schon als ForscherIn ernst genommen, was unter anderem heißt, dass Seminararbeiten als erste Manuskripte für zukünftige Fachpublikation verstanden und mit entsprechender Sorgfalt kommentiert werden.
Auch außerhalb des Instituts bieten sich jede Menge Möglichkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen. Die Universität gehört zu den internationalsten der USA. Bei den Orientierungsveranstaltungen für Internationale zu Beginn des Semesters bekommt ihr so die einmalige Gelegenheit, Studierende aus der ganzen Welt kennenzulernen. Was Freizeit betrifft, so finden neben oben beschriebenen alltäglichen Vergnügungen während des Semesters auch größere Events statt, die zu besuchen es sich auf jeden Fall lohnt: das Lotus Musikfestival, Football- und Basketball-Spiele, das Fahrradrennen Little 500, öffentliche Vorlesungen (letztes Semester war u.a. Werner Herzog in Bloomington) etc. Wenn einem aber das Kleinstadtleben doch einmal zu eng wird, dann ist Chicago relativ bequem mit dem Bus in ca. vier bis fünf Stunden erreichbar. Indianapolis – die Landeshauptstadt von Indiana – hat leider nicht viel zu bieten, außer einem guten Kunstmuseuem (dem IMA: Indianapolis Museum of Art) und dem Basketballstadion der Indiana Pacers. Für kürzere Roadtrips kann ich im Übrigen eine Tour über die Bourbon-Destillerien in Kentucky zur Hauptstadt der Country-Musik Nashville empfehlen – selbst wenn einem Country nicht so liegt, ist das ein tolles Erlebnis. Beides liegt innerhalb eines fünf-Stunden-Radius von Bloomington entfernt.
Ich bin überzeugt davon, dass ihr in Bloomington eine wunderbare Zeit verbringen werdet. Selbst wenn Kalifornien oder die Ostküste als Studienorte zunächst verlockender erscheinen, werdet ihr in Bloomington bestimmt nichts missen: Eine gute Uni in einer entspannten Stadt mit tollen Freizeitofferten. Ich jedenfalls habe dort sowohl in akademischer als auch persönlicher Hinsicht sehr viel gelernt!
[1] Zusätzliche finanzielle Unterstützung und administrative Rundum-Versorgung kann man sich über ein Fulbright-Reisestipendium verschaffen. Die Pros und Contras eines solchen Stipendiums werden euch beizeiten vom Auslandsamt näher gebracht.